Laura Klingenberg
«Willst du keine Kinder»? An dieser Frage kommen Frauen* zwischen 30 und 45 ohne Kinder kaum vorbei. In unserer Gesellschaft ist es schwierig, sich einer persönlichen Auseinandersetzung und oftmals auch einer immer wieder erneuten Stellungnahme dazu zu entziehen. Wer Kinder hat, muss sich nicht erklären, wer keine Kinder hat, hingegen oftmals schon. Dies kann dem Thema eine grosse Schwere verleihen.
Wir sprechen in diesem Heft mit Frauen* über ihre Kinderlosigkeit oder ihre Kinderfreiheit. Dabei ist es uns wichtig, dass sich diese Frauen* nicht erklären »müssen», sondern, dass wir ihren Stimmen Gehör verleihen. Stimmen, die hoffentlich dazu beitragen, immer mehr Menschen darin zu sensibilisieren, dass ein Leben mit Kindern nur einer von vielen Lebensentwürfen sein kann. Stimmen, die aber auch zu sensibilisieren vermögen, dass ein Leben ohne Kinder manchmal frei gewählt ist – und manchmal nicht. Dafür haben wir zum Gespräch eingeladen. Vier Frauen* erzählen aus ihrem Leben und darüber, wie es sich entwickelt hat. Vier Frauen* erzählen und reflektieren gemeinsam über ihr kinderloses oder kinderfreies Leben. Dieses Gespräch steht im Mittelpunkt dieses Hefts.
Viele Themen wurden dabei angeschnitten, andere kamen nicht zur Sprache. Dem wollen wir Rechnung tragen. So finden sich neben dem Hauptartikel kurze Texte, die weiteren Erfahrungen von Frauen* rund um Kinderlosigkeit oder Kinderfreiheit Raum geben.
Sie berichten anonym über ihr Erlebtes. Zahlen und Fakten, ein bibelwissenschaftlicher Einblick sowie ein Bericht zu Filmen, die sich mit dem Thema «Regretting Motherhood» beschäftigten, weiten die Auseinandersetzung zusätzlich aus.
Besonders schön finde ich, dass das Heft durch die Kunst von Moni Egger, eine unserer Redaktorinnen, kreativ ergänzt wird. Ihre Bilder zeigen auf bewegende Art ihre ganz persönliche physische Auseinandersetzung mit dem Thema Kinderlosigkeit, gestaltet mit ihrem letzten Menstruationsblut, Kohle und Kreide.
Möge diese FAMA dazu beitragen, das Tabu um diese Themen zu brechen und auf feinfühlige Art miteinan- der ins Gespräch zu kommen!
Laura Klingenberg
Über das ganze Leben
Kinderlose / kinderfreie Frauen im Gespräch
Faktisches
Feministin mit unerfültem Kinderwunsch
Regretting motherhood
unfreiwillig kinderfrei
Fehlgeburt
Keine Wahl …
Kinderlos in der Bibel – am Beispiel von Hanna
Zum Begriff «kinderfrei»:
«I’m not childless, darling. I’m childfree.» Ich bin nicht kinderlos, Liebling. Ich bin kinderfrei. – Zugeschrieben wird dieses Bonmot Tallulah Bankhead, einer der grossen US-amerikanischen Schauspielerinnen der 30er und 40er Jahre. Das Wort «kinderfrei» ist also keine Erfindung der heutigen Zeit, keine Errungenschaft der 68-er Generation oder der feministischen Bewegung der 1980er-Jahre. Wer sich auf die Spur dieses Begriffes macht, wird durch die Jahrzehnte immer wieder punktuell fündig: 1972 erschien ein Artikel im Time-Magazine zur Gründung der «National Organization for Non-Parents» der den Begriff nutzt; in der feministischen Bewegung der 1970er-Jahre sei der Begriff geläufig gewesen, sagt Wikipedia; Anfang der 1990er-Jahre rezensiert ein Artikel der «Zeit» das neu ins Deutsche übersetzte Buch der US-amerikanischen Autorin Susan Lang «Wir Frauen ohne Kinder», welches den Begriff der Kinderfreiheit ebenfalls nutzt[1]. Die bekannte Radiosendung «On Point» machte im Jahr 2013 unter dem Titel «The choice to be childfree» Kinderfreiheit zum Thema. So richtig etabliert hat sich der Begriff aber im deutschen Sprachraum nicht. Die Pionierin der feministischen deutschen Sprachwissenschaft, Luise Pusch, schreibt im Jahr 2014, gegenüber dem Begriff wolle sie «Bedenken anmelden»: «Zwar gönne ich gestressten Eltern jede Menge ‘kinderfreie Wochenenden’, aber freiwillige Nicht-Eltern als ‘kinderfrei’ zu bezeichnen, ist unzart gegenüber dem zarten Kindergemüt. Kinder haben was Besseres verdient.»[2] Also unzart und nutzlos? Gerade in den letzten Jahren tauchen Fernsehsendungen, Blogs und Netzwerke auf, die das Potential dieses Begriffes nutzen: Die Betonung der Wahlmöglichkeit, die Entstigmatisierung von (insbesondere weiblichen) Lebensentwürfen ohne Kinder, die Freiheiten und die Erfüllung, die auch oder gerade ohne Kinder möglich sind. Einen Anfang solchen Empowerments machte die deutsche Autorin Sarah Diehl mit ihrem Buch «Die Uhr, die nicht tickt» (2014). Ihr Engagement für reproduktive Selbstbestimmung bringt Sarah Diehl immer wieder auf die Formel: Vertraut den Frauen. Ob es nun um Abtreibung, gewollte Kinderlosigkeit, queere Elternschaft oder um einen Kinderwunsch geht: Menschen mit Uterus entscheiden selber. Und es braucht die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, um diese Entscheidung treffen zu können.
Genevea Moser
[1] https://www.zeit.de/1993/03/kinderlos-kinderfrei
[2] https://www.fembio.org/biographie.php/frau/comments/kinderlos-oder-kinderfrei/