Inhaltsübersicht
Renata Huonker-Jenny
Schmerz Los
Esther Fischer-Homberger
Schmerz und Geschlecht
Kulturgeschichtliche Betrachtungen zum Schmerz
Regula Schmitt-Mannhart
Lindern statt heilen
Reflexionen einer Ärztin aus der palliativen Praxis
Monika Hungerbühler
«…und meine Seele will sich nicht trösten lassen»
Psalm 77
Marianne Reifers
Was hat denn Schmerz mit Gott zu tun?
Luzia Sutter Rehmann
Im Kern des Schmerzes steckt eine Kraft
EDITORIAL
«Die grossen Worte sind verlorengegangen
Es heisst mit winzigen Wörtern werben um Frieden und Liebe» Als ich bei der Suche nach lyrischen Texten zum Thema dieser FAMA auf diesen Gedichtanfang von Rose Ausländer stiess, fasste er für mich zusammen, was dieses Heft zeigt: Der Schmerz hat viele Gesichter und Namen; und das feministisch-theologische Nachdenken und Mitgehen, erst recht das theologische Reflektieren nach und in eigenen Schmerzerfahrungen fügt sich nicht zu einem festen theologischen Gebäude. Höchstens zu einem Dorf mit verschiedenen Häusern und Wohnungen. Ähnlich vielleicht wie Nelly Sachs die Psalmen – auch keine theologischen Lehrgebäude – beschreibt als «Nachtherbergen für die Wegwunden» mitten in einer «Landschaft aus Schreien». Die Weihnachtsnummer zum Thema Schmerz. Wie kommt das? Mit ausschlaggebend war ein Text von Dorothee Sölle in ihrem Buch «Gegenwind» zum Geburtsschmerz. Weihnachten, das Fest der Freude über die Geburt Jesu, da ist die Verbindung. Schmerz als eine produktive Kraft, eine Erfahrung aller Gebärenden, wird von Dorothee Sölle positiv gewürdigt. Besorgt ist sie über den Einsatz der «Pille», gemeint ist die schmerzbekämpfende Pille, weil diese das menschliche Dasein «maschinenförmig» mache. Weil sie zum Beispiel daran hindere, sich das «sinnlose, bittere Leiden des Sterbens so anzuverwandeln» wie es beim Weg von den Eröffnungs- zu den Presswehen geschieht und damit vom Kampf gegen den Schmerz zur Annahme des Todes zu kommen. Dass die harte Erfahrung des Schmerzes durchaus zu etwas gebraucht werden will, das zeigen die beiden Theologinnen Renata Huonker-Jenny und Luzia Sutter Rehmann, deren Texte aus eigener, sehr verschiedener Schmerzerfahrung kommen. Doch Verzicht auf Schmerzbekämpfung wäre angesichts der Zerstörungen, die insbesondere der chronische Schmerz anrichtet, der keine «gute», alarmierende Funktion mehr hat, purer Hohn. Renata Huonker-Jenny beschreibt die isolierende, kommunikationszerstörende Wirkung chronischer Schmerzen. Der Schmerz wirft in unbekanntes Land, ins Trauma-Land. Sie hat dieser kaum zu vermittelnden Erfahrung Sprache abgetrotzt. Auch und ganz anders Luzia Sutter Rehmann, die von der Frau des Hiob, Sitidos/Dina, lernen möchte, aus der Erstarrung, in die der Schmerz führt oder verlockt, herauszugehen. Die Medizinhistorikerin Esther Fischer-Homberger beschreibt die produktive Dynamik der Kombination eines integrativen und eines desintegrativen Umgangs mit dem Schmerz. Zum Schluss ihrer Ausführungen verweist sie auf den Paradigmenwechsel in der Medizin der letzten Jahrzehnte. Diese ist in eine «Phase getreten, in welcher sie, die … vorher den Frauen, der ärztlichen Praxis, der Psychotherapie und der Alternativmedizin überlassene integrierende Behandlung des Schmerzes wieder in ihr Denken aufnimmt.» Was das heisst, führt die Ärztin Regula Schmitt Mannhart, die als leitende Ärztin in einem Krankenheim vorwiegend palliativ und nicht mehr gesundbringend tätig ist, aus. «Sie sind wichtig, weil Sie eben Sie sind. Sie sind bis zum letzten Augenblick Ihres Lebens wichtig, und wir werden alles tun, damit Sie nicht nur in Frieden sterben, sondern auch leben können bis zuletzt.» Dieser Ausspruch von Cicely Saunders, der Begründerin der heutigen Hospizpraxis, beinhaltet die entscheidende Grundhaltung gegenüber schwerkranken und sterbenden Menschen. Für den Arzt, die Ärztin, heisst das, dass sein und ihr medizinisches Handeln auch dann noch gefordert ist, wenn eine Heilung eines kranken Menschen nicht mehr zu erwarten ist. Wenn auch die Krankheit nicht mehr beeinflussbar ist, so muss der oder die Betroffene wenigstens nicht unter Beschwerden wie Schmerzen, Atemnot oder Übelkeit leiden. Hier hat sich in den letzten Jahren ein enormes, neues Fachwissen herausgebildet, die so genannte Palliativmedizin (von lateinisch palliare = mit dem Mantel bedecken, lindern, Geborgenheit geben). Es geht dabei nicht darum, einen schwerkranken und sterbenden Menschen ruhigzustellen, «maschinenförmig» zu machen, sondern im Gegenteil: Gerade die Schmerzfreiheit oder wenigstens Schmerzlinderung schafft vielfach erst die Voraussetzungen dafür, dass sich ein Mensch wieder öffnen kann für andere, Interesse aufbringen kann, kommunizieren kann und seine Energien bündeln kann für den letzten Weg ins Sterben hinein. Die Begegnungen mit den konkreten Menschen zeigt, dass sich gerade im Umgang mit Schmerz jede Ideologisierung verbietet. Die zerstörerischen Folgen eines ideologisierten Umgangs mit Schmerz, sei er christlich oder esoterisch verbrämt, zeigt die in einer psychiatrischen Klinik tätige Seelsorgerin Marianne Reifers. Hier stehen jeder feministischen Theologin die Haare zu Berge, und wir wissen wieder einmal, was wir auf keinen Fall mehr wollen. Fast zwischen die Zeilen hat die Autorin kleine Fährten gelegt, Spuren einer lebenseröffnenden Nachfolgepraxis Jesu. Von der Untröstlichkeit im Schmerz und vom Recht, untröstlich zu sein, schreibt Monika Hungerbühler. Sie gibt damit mehr Raum für das Aushalten und einen wahrhaftigen Umgang mit einer alle Grenzen sprengenden Not als jedes fein gemeisselte, theologische Gebäude geben könnte. Der Schmerz zerreisst, sprengt, lähmt, zerstört. Die Bilder zu dieser FAMA müssten eigentlich unsere vorgegebenen Spaltenformate aufreissen, haben wir erwogen. Sie bleiben in der Ordnung, aber die Bilder bezeugen eine aufwühlende Auseinandersetzung mit Phrasen, Sätzen wie Hammerschlägen, die viele Generationen von Frauen in Schmerzen getrieben haben oder sie gedrängt haben, sich nicht aufzulehnen und zu wehren. Du sollst leiden, du sollst nicht merken, du sollst ertragen, du sollst nicht handeln und nicht wissen, sind einige davon. Elisabeth Wieser Schiestl, die Künstlerin, sagt, sie hätte die Bilder dieser Frauenpassion oftmals unter Tränen und grösster Mühe gemacht. Das merkt man ihnen an. Das ist ihr «schreckliches Wissen vom Schmerz, das gebraucht werden will» (Renata Huonker-Jenny). Ich habe angefangen, mit den Beiträgen dieses Heftes zu sprechen und sie auch untereinander ins Gespräch zu bringen. Erhellende Übereinstimmungen, Brüche, Lücken, Fragen und ein grosser Konsens in der Bereitschaft, genau hinzusehen, sich berühren zu lassen, den Schmerz zu sehen und zu fragen, was sich damit anfangen lässt.
Jacqueline Sonego Mettner