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Inhaltsübersicht

Lucia Scherzberg
Feministisch-theologische Sicht des «Bösen»

Sabine Bieberstein
«Böse» Frauen in der Bibel
Despotinnen, Götzendienerinnen und Verräterinnen

Cornelia Vogelsanger
Kali
Visionen der Schwarzen Göttin

Lisa Schmuckli
Inmitten des Bösen

Susanne Andrea Birke
Kein sicherer Ort
Tabuthema Frauengewalt

Silvia Strahm Bernet
Böse Frauen
Oder: Wie besiegt frau James Bond?


Editorial

«Böse» – ein Wort, das wir nur noch selten verwenden. Wir sagen schlecht, ungerecht, grausam, krank, reden kaum mehr von «bösen» Menschen, sondern von Psycho- oder Soziopathen. Wir erklären, suchen nach Ursachen – in den gesellschaftlichen Strukturen, der kollektiven oder individuellen Geschichte, in den dunklen Tiefen der Psyche. Das Wort «böse» hingegen hatte seinen festen Platz in einem christlich-dualistischen Weltbild mit seiner Vorstellung von Himmel und Hölle, seiner klaren Trennung in ein vollkommen Gutes, das in der Gestalt Gottes eine feste Form angenommen hat, und in das Böse, das in dämonischen Mächten und vor allem in der Gestalt des Teufels eine klare Kontur bekam. Die Gestalt des Teufels gehört heute für die meisten von uns der Vergangenheit an. Und das Böse, wenn wir es überhaupt noch so benennen, wird nicht mehr als dämonische Macht, sondern vielmehr als Frucht unserer menschlichen Freiheit gesehen. Doch das Phänomen des Bösen ist damit noch nicht erklärt: Was nennen wir «böse»? Aufgrund welcher Kriterien? Weshalb tun Menschen Böses? Woher kommt die Faszination des Bösen? Und: Wer definiert, was gut, was böse ist? Hat die Sicht und die Rede vom Bösen nicht nur verschiedene Facetten, sondern auch ein Geschlecht? Die Antwort auf die letzte Frage kennen wir bereits. Männer beschrieben und erklärten während Jahrhunderten die Welt; sie definierten, was gut und böse ist und auch, wie es so gekommen ist: Schuld am Bösen ist die Frau. So sieht es die christliche Tradition. Eva, die erste Frau, ist durch ihre Neugier und ihren Ungehorsam zum Einfallstor des Bösen in die Welt geworden. Die Bibel weiss auch von anderen Frauen zu berichten, die in den Augen der biblischen Erzähler Schlimmes getan haben, wie die feministische Exegetin Sabine Bieberstein in ihrem Artikel zeigt. Von rachsüchtigen Königinnen und machtsüchtigen Herrscherinnen ist da die Rede, aber auch von Verführerinnen und anderen bösen Frauen, die Männer zu Fall bringen. Auch wenn das Bild dieser bösen Frauen von feministischen Exegetinnen weitgehend als androzentrische Sichtweise entlarvt wird, so üben diese schillernden und wilden Frauengestalten dennoch eine Faszination aus, da ihr Verhalten nicht dem gängigen Frauenbild entspricht. Zu einem ähnlichen Schluss kommt Silvia Strahm Bernet in ihrer Untersuchung der «bösen» Frauen in den James-Bond-Filmen. Sie bekämpfen Bond mit Sex und mit der Waffe, sind Killerinnen, kaltblütig, sexuell aggressiv, gierig – nach Herrschaft und nach Geld. Das ist böse, und böse endet es auch für diese Frauen. Nichts wirklich Neues also, sondern Frauen, die nach Männerregeln spielen und Männerbilder spiegeln, aber immerhin: Frauen, die stark sind, autonom, selbstbewusst und aggressiv (wenigstens im Film). Doch wie ist es mit «bösen» Frauen in der Realität? Das Bild von der friedfertigen Frau oder die Rede von der Frau als unschuldiges Opfer und damit als apriori gut ist unter Feministinnen schon länger der Erkenntnis von der Mittäterschaft der Frauen gewichen. Aber Frauen als Täterinnen, als Gewalttäterinnen? Frauengewalt ist – wie der Artikel «Kein sicherer Ort» zeigt – in der Frauenbewegung noch immer ein Tabuthema, wird geleugnet, verharmlost, verschleiert – insbesondere (sexuelle) Gewalt von Frauen gegenüber Frauen. Dieses Tabu muss gebrochen werden, auch wenn dies eine weitere Illusion von uns Frauen als den «besseren» Menschen zerstört. In der feministischen Theologie ist das Böse bis anhin kein zentrales Thema gewesen. Lucia Scherzberg versucht in ihrem Artikel eine feministisch-theologische Annäherung an das Böse – ausgehend von biblischen und feministisch-theologischen Ansätzen, die in ihren Augen für eine Reflexion des Bösen aus der Sicht von Frauen hilfreich sind und zum Weiterdenken anregen. Besondere Aufmerksamkeit schenkt sie dabei der Frage nach dem Bösen und Gott. Während das Christentum das Böse aus dem Gottesbild ausgegliedert hat, wird in anderen Religionen wie z.B. dem Hinduismus auch das Dunkle von der Gottheit umfasst. So verkörpert Kali, die schwarze Göttin, die Extreme der Existenz – Krise, Vergänglichkeit und Zerstörung, wie der Beitrag der Religionsethnologin Cornelia Vogelsanger zeigt. Aus philosophischer Sicht hinterfragt die feministische Philosophin Lisa Schmuckli den eindimensionalen Blick auf das vermeintlich klare Böse und kritisiert die duale, eindeutige Trennung von Gut und Böse, die häufig den Blick verstellt für das, was das Böse wirklich ist. Das Drama der Freiheit auszuhalten bedeutet, inmitten des Bösen ständig wählen und entscheiden zu müssen und Sinn zu erschaffen. Das Böse, so zeigen die Beiträge in diesem Heft, existiert nicht im Singular, sondern im Plural; es äussert sich in vielfältigen Erscheinungsformen – geschichtlichen, gesellschaftlichen, körperlichen, sexuellen. Das Böse ist nicht abstrakt: Es hat konkrete Orte, unterschiedliche Gesichter oder Fratzen; es ist gegenwärtig in unserem Alltag und bedeutet nicht für alle dasselbe. Das Böse ist vielschichtig und nicht immer eindeutig: Inmitten des Bösen und aus diesem heraus kann Gutes, kann Gerechtigkeit entstehen. Das Böse ist Teil der menschlichen Existenz, das Leben eine Mischung von Gut und Böse (Ivone Gebara). In diesem komplexen Gewebe des Lebens, in dem sich Gutes und Böses mischen, entsteht nicht nur das Böse, sondern auch das Gute, das Heil immer wieder neu – vielgestaltig, alltäglich, körperlich und konkret. Momente von Schönheit und Glück inmitten der Ambivalenz und Ungesichertheit unseres Lebens. «Hier draussen, ausserhalb der Mauern des Paradieses, sind die Farben nicht nur greller und schwieriger zusammenzufügen, auch das Gewebe aus dem, was uns wahr, schön und gut erscheint, droht immer wieder auszufransen. Setzten wir unsere Hoffnungen auf einen perfekten Anfang und ein eben solches Ende, so wäre dies ein Grund zum Verzweifeln. Wenn Hoffnung dagegen heisst, weiter zu weben, unordentlich und vielgestaltig, dann sollten wir trauern, lachen und tanzen, bis unser Fleisch uns den Lauf der Welt in Erinnerung ruft.» (Kathleen M. Sands)

Doris Strahm

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