Inhaltsübersicht
2021 – Zeit für ein grosses Jubiläum: Seit 50 Jahren besitzen Frauen in der Schweiz das Stimm- und Wahlrecht auf Bundesebene. Im europäischen Vergleich aufgrund des halbdirekten Systems sehr spät. Jedoch gleichen sich die Argumente und Muster der Verhinderung. Am 7. Februar 1971 war es soweit: Die Mehrheit der männlichen Stimmbürger war endlich gewonnen. Bis allerdings der letzte Kanton fiel – Appenzell Innerrhoden – dauerte es nochmals 20 Jahre, Bürgerinnen musste sich damals durch die Instanzen klagen, bis sie 1990 zu ihrem Recht kamen: Fast 100 Jahre, nachdem sich in der Schweiz die ersten Vereinigungen gebildet hatten. Wahlen und Abstimmungen bedeuten Einfluss und Gestaltung – und sie stehen für eine Anerkennung als Bürgerin, mündig und autonom an den öffentlichen Angelegenheiten, deren Ergebnisse alle betreffen, teilzunehmen. Wir durchdringen das Thema in der FAMA politisch, theologisch, gesellschaftlich und natürlich feministisch.
Amira Hafner
Politisiert in Vaters Armen
Rita Furrer, Salomé Perret, Jeannette Behringer
Das erste Mal
Moni Egger
Welche Kraft treibt an?
Vom Verbreiten einer Idee gegen alle Widerstände
Sabine Scheuter
Esther als «Post-Colonial Feminist»
Erkenntnisse einer Ägyptenreise
Jeanette Behringer
Raum greifen, Platz nehmen, Sprechen
Wahlen als feministische (Neu-)Entdeckung
Tania Oldenhage
«Das Weib hat in der Gemeinde zu schweigen»
Eine feministische Protestgeschichte
Li Hangartner
«Feministin avant la lettre»
Dorothee Sölles widerständige Theologie
Editorial
Dass meine Mutter bei meiner Geburt und in meinen ersten Kinderjahren gar nicht abstimmen und wählen gehen konnte, wurde mir erst im Hinblick auf die 50 Jahre Stimm- und Wahlrecht für Frauen in der Schweiz bewusst. Mein Gott, wie kurz das erst her ist. Dass Frauen in den innerhäuslichen und ausserpolitischen Bereich verwiesen wurden, hat eine unrühmlich lange Tradition. IHM bzw. seiner von Männern proklamierten göttlichen Ordnung hatten sie es aber zu verdanken, dass sich diese Vorstellung hartnäckig halten konnte. Mit Folgen fürs Zivilrecht, wo die Unterordnung unter das Familienoberhaupt noch zehn Jahre nach 1971 fortdauerte. Nach wie vor wirkt sich das darin enthaltene Menschenbild auf die noch nicht realisierte Gleichstellung der Geschlechter in Familie, Arbeitswelt und Gesellschaft aus.
Stimmen und wählen gehen zu können ist inzwischen selbstverständlich geworden, gewinnt für mich aber auf dem Hintergrund der Kämpfe von Frauen* und sie unterstützenden Männern* neuen Wert. Bei der Beschäftigung mit den damaligen politischen Auseinandersetzungen sehe ich Parallelen zu dem, was im vorliegenden Heft in anderem Kontext zur Sprache kommt: Pionierinnen werden oftmals angefeindet. Ihren Impulsen haben wir aber neue Perspektiven zu verdanken. Ähnliches gilt im Hinblick auf unterschiedliche Strategien, die Frauen* in derselben Sache verfolgen. Auf dem Hintergrund einer Differenz der Geschlechter, die als gott- oder naturgegeben betrachtet wird, mag es überraschen, dass sich der Schweizerische Katholische Frauenbund und die Evangelischen Frauen Schweiz in den 1950er Jahren dann doch für das Frauenstimmrecht eingesetzt haben. Das passt zugleich zu einem anderen theologischen Verständnis, wie es schon früh in feministisch/befreiungstheologischen Arbeiten von Frauen* zu finden ist.
Stellvertretend für das Engagement vieler Frauen stehen die Schweizer Parlamentarierinnen, die schon ab 1971 oder in jüngeren Jahren Einfluss auf die Schweizer Politik genommen haben. Eine eindrückliche und ermutigende weibliche Ahnengalerie.