Inhaltsübersicht
Silvia Strahm Bernet
«Unglückliche, was hast du gehofft?»
Einige Aspekte der Geschichte der Hexenverfolgung.
Barbara Seiler
Hexenverfolgung – drei Deutungsversuche
Susanna Burghartz
Hexenverfolgung und Sexismus
Zur Gleichsetzung von Hexen und Frauen
Ursula Port
Disziplinierung des Menschen zum Rationalen Wesen
Bemerkungen zum zeitgeschichtlichen Hintergrund der Hexenverfolgung
Jutta Voss
Kommt ihr Schwestern, helft mir klagen
Patricia Remy
Hexenverfolgung und Kirche
Blinder Fleck der Geschichte und Herausforderung für die Kirche der Gegenwart
Barbara Seiler
Ich bin eine Hexe – bin ich das?
Was die Auseinandersetzung mit Geschichte bringt
EDITORIAL Dass Hexen alt, hässlich und böse sind und zu Recht einen grausamen Tod sterben, dies sind die ersten und prägenden Eindrücke, die wohl jedes Kind von Hexen hat. Die meisten von uns werden erst viel später von den unter der Anklage der Hexerei ermordeten Frauen erfahren haben. Was wir von ihnen wissen, wissen wir nur durch ihre Verfolger, es ist in Prozessakten und theoretischen Schriften zu lesen. Die Hexenverfolgungen waren nicht ein Phänomen des Mittelalters, sie begannen am Anfang der Neuzeit, im Zeitalter der Renaissance, des Humanismus und der Aufklärung und dauerten rund dreihundert Jahre. Obschon Hunderttausende von Menschen (der grösste Teil davon Frauen) getötet wurden, werden die Hexenverfolgungen von Historikern nicht als epochenspezifisch bezeichnet.(1) In den traditionellen Geschichtswerken ist wenig über die Ursachen der Hexenverfolgungen, die Motive und Interessen der Verfolger zu finden. Diese aufzudecken, ein Stück weit zumindest, ist das Anliegen dieses Heftes. Die Hexenverfolgungen waren nicht einfach ein Massenwahn, wie so oft gesagt wird, der nach einem irrationalen Muster verlaufen ist. Sie hatten ihr System. Es gab Verantwortliche und Täter, ‹es war kein Ungeist jener Zeit, der so gewütet hat. Der politische Schritt, der die Verfolgung und Tötung ermöglichte, wurde gemacht, als Unschuldige (meist durch Denunziation) der Hexerei angeklagt und dafür verfolgt werden konnten. Auch wenn sich im Laufe der Jahrhunderte der Kreis der an der Verfolgung Interessierten ausdehnte und veränderte, war es die geistliche Obrigkeit, die sowohl das Klima wie auch, die theoretische und verfahrenstechnische Grundlage für die Hexenverfolgungen schuf. Waren es am Anfang noch Männer und Frauen, die der Hexerei angeklagt wurden, so spricht der 1486/7 von den Inquisitoren H. Institoris und J. Sprenger verfasste ‹Malleus Malleficarum› (Hexenhammer oder Hammer der Übeltäterinnen) nur noch von Frauen. Unter Berufung auf die Bibel, die Kirchenväter (Thomas von Aquin wird 92 mal Augustinus 77 mal zitiert) und antike Denker, wird in ihm der ‹Nachweis› geführt, dass Frauen durch ihre naturgegebene Anfälligkeit für das Böse besonders bereit seien, mit dem Teufel zu paktieren. Damit war die Gleichsetzung von Hexen = Frauen vollzogen und jede Frau zur potentiellen Hexe erklärt. Die seit Jahrhunderten tradierte Frauenfeindlichkeit der Kirche, die bis anhin ihren Ausdruck vor allem in Schriften und Predigten sowie im Ausschluss der Frauen von allen kultischen Handlungen fand, eskalierte jetzt zum systematisch betriebenen Frauenmord. Mit unserem Heft wollen wir dazu beitragen, die historischen Hexen dem Vergessen zu entreissen. Es geht uns darum, das grausame Verbrechen, dem so viele Frauen zum Opfer fielen, zu benennen und zu bezeugen. Gerade auch, weit es die offizielle Kirche nie für nötig befunden hat, Schuld zu bekennen und Verantwortung zu übernehmen. Die Artikel in unserem Heft beleuchten die Hexenverfolgungen von verschiedenen Seiten und unterschiedlichen Standpunkten, da es sich um ein Geschehen handelt, für dessen Erklärung ein Modell allein nicht ausreicht. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass trotz der verschiedenen Erklärungsversuche für die Ursachen und Zusammenhänge diesem schrecklichen Stück Geschichte Unverstehbares und Unfassbares bleibt. Vergessen wir auch nicht, dass diese Geschichte prägend war und prägend ist; sie hat in jeder und jedem von uns ihre Spuren hinterlassen. Die Wut und die Trauer darüber müssen wir bewahren. Wir haben noch immer daraus zu lernen. Cornelia Jacomet (1) Erika Wisselinck, Hexen, München 1986 © Verein FAMA: Kontakt aufnehmen