vergriffen

Inhaltsübersicht

Ursa Krattiger Tinga
«Lieber barbusig als barfüssig!»

Christa Mulack
Göttinnen
Vereinigung von Weib und Leib, Leben und Geist

Rosmarie Wipf
Das Feuer weiblicher Leidenschaft …
und die saure Milch der frommen Denkungsart

Silvia Strahm Bernet
Am Busen der Natur, da möcht ich ruhn

Luzia Sutter Rehmann
Von Hauskirchen und Kirchenhäusern
Eine Begegnung spezieller Art

Li Hangartner, Silvia Strahm Bernet
Angezogen – ausgezogen
Ein paar Blicke auf das inszenierte Leben

Elga Sorge
Die «Zehn Erlaubnisse»

Brigit Keller
Keine neuen «Zehn Erlaubnisse»

Brigit Keller
Was ist dir wichtig?


EDITORIAL

Kennen Sie Liebfrauenmilch? Haben Sie je vom köstlichsten aller Labsale gekostet? Sie wissen nicht, wovon ich rede? Von Wein bzw. von Milch, der Milch unserer lieben Frau. Muttermilch Mariens eben.

Liebfrauen- oder Liebfraumilch ist der weltweit bekannteste deutsche Weinname. Ursprünglich gehörte er nur zu einem ganz kleinen Weingut bei der Liebfrauenkirche von Worms. Schon im 19. Jahrhundert hatten diese Weine wegen ihrer Lieblichkeit, die die Masse liebte, Weltruf und erzielten sehr hohe Preise. Man zahlte für Liebfraumilch mehr als für die besten Bordeaux-Weine. Die hohe Nachfrage steigerte die Produktion, nicht aber die Qualität, wie mir die Önologin Raki Moeller aus Basel versichert hat. Der Wein darf heute aus den Rebsorten Riesling, Silvaner, Riesling/Silvaner und Kerner gekeltert und inzwischen auch mit Weinen aus anderen Regionen verschnitten werden. M.a.W. Liebfraumilch ist ein Massenprodukt geworden: ein gepanschtes, fades, für WeinkennerInnen unerträgliches Gesöff klebrig-süss, undefinierbar. Diese Milch nun, gewandelt in Traubensaft, gekeltert, gelagert, ist das «Ende der langen Tradition eines der bedeutungsvolleren mystizistischen Sinnbilder», die für Weisheit, Paradies, Gnade und Demut standen (Maria Warner, Maria. Geburt, Triumph, Niedergang Rückkehr eines Mythos?, München 1982). Maria, die Muttersein und Jungfräulichkeit auf wunderbare Weise vereinte, hat eine natürliche, biologische Funktion beibehalten dürfen – das Stillen ihres Kindes. Jedoch haben ihre Brüste bzw. die Milch, die daraus floss, genauso wie die Bewertung von Marias Leiblichkeit ganz allgemein durch die Jahrhunderte einen grossen Bedeutungswandel erfahren. Im Hohen Mittelalter z.B. trieb die Marien-Symbolik üppigste Blüten. Sowohl die Muttermilch, als auch die milchspendenden Brüste Mariens dienten in einer von Bernhard von Clairvaux› Predigten als Bild, um die erotische Beziehung zwischen Christus und der Kirche ganz körperlich zu untermalen: «Er (Christus) gibt ihr (der Kirche) den Kuss, nach dem sie sich gesehnt hatte…. und so gewaltig ist die Macht dieses Kusses, dass sie sofort empfängt und ihr Busen schwillt vor Milch… So nähern auch wir uns dem Altar Gottes und beten, und wenn wir nur ausharren, wird uns trotz unserer Nüchternheit und Lauheit die Gnade übermannen, unsere Brust wird schwellen, und die Liebe wird unsere Herzen erfüllen – und die Milch der Güte wird sich überall, einem Sturzbach gleich, ergiessen.» (Maria Warner) Erst im 12. Jahrhundert taucht in der westlichen Malerei das früheste Beispiel einer säugenden Maria auf – auf dem Fassadenmosaik der S.Maria Trastevere in Rom, obwohl der Topos der säugenden Jungfrau uralt ist: «Das Thema der milchspendenden Jungfrau, das der Maria Lactans, nahm seinen Ursprung wahrscheinlich in Ägypten, wo die Göttin Isis schon mehr als tausend Jahre vor Christi Geburt beim Säugen ihres Sohnes Horus dargestellt worden war.» (Maria Warner) Irgendwann dann mit dem Fortschreiten der Renaissance verschwindet die stillende Jungfrau allmählich von der Bildfläche. Marias Brust zu zeigen, ist nicht mehr schicklich. Sowohl Reformatoren als auch Gegenreformatoren machen sich Sorgen über die «Lüsternheit in der christlichen Kunst», und bringen das Stillen eines Kindes mit den Geburtswehen in Zusammenhang, was beides als Folge des Sündenfalls betrachtet wird, wovon Maria, die Unbefleckte, nicht betroffen ist. Welche Einstellung auch immer die Kirchen zur Mutter-Brust hatten oder noch haben, die (religiösen) Frauen unserer Zeit wird es wohl nicht allzu stark interessieren. Zwar ist uns die kirchliche Frauenfeindlichkeit, Körperfeindlichkeit und damit Busenfeindlichkeit noch immer mehr oder weniger in den Leib geschrieben. Gleichzeitig werden Brüste in der Werbung provokant zur Schau gestellt, um männliche Verbraucher dazu zu bringen, alle möglichen Konsumprodukte zu kaufen, und tausende von Frauen lassen sich jährlich operativ die Brüste vergrössern oder verkleinern, um männlichen Schönheits-Normen besser zu entsprechen… Aber mit Hilfe matriarchaler Forschungsreisen zu üppigen oder schlanken Göttinnen, mit Hilfe von Beraterinnen der La Leche-Liga, mit Hilfe feministischer Psychologinnen und Ärztinnen, und durch ein langsam, aber sicher sich verbreitendes neues, gutes Körperbewohnen mit all dieser Unterstützung gewinnen wir – so Göttin/Gott will – Liebe zu unserem Körper und insbesondere zu unseren Brüsten zurück, die als Botschaft des Frauwerdens und Frauseins tagtäglich in die Welt hinausragen (sich manchmal auch ein wenig zu Boden neigen…). Ob mit oder ohne Büstenhalter, ob gross, ob klein, ob fest oder nicht, ob einzeln oder zu zweien: sie sind Lustobjekte, sie sind Nahrungsspenderinnen, sie sind Vergnügungsquellen. Ihnen und einigen sich mit ihnen assoziierenden Gedanken zu Nacktheit, Körperlichkeit, Erotik, lebendiger Sinnlichkeit und zu einer lust- und körperbejahenden Spiritualität, widmen wir dieses Heft. Viel Spass!

Monika Hungerbühler

1996_1_Ganzes Heft als PDF