Inhaltsübersicht
Andrea Blome
«Erzählung, Erinnerung und Zeit»
Feministische Theologie und die Frage nach dem Alter
Dorothee Dieterich, Monika Hungerbühler
«Altern ist eine ziemliche Arbeit»
Gespräch mit Helen Geiser
Heidi Rudolf
Alten Menschen Gutes tun
Alte Menschen im Blick des Nordens und des Südens
Jsabell Mahrer
Das Altern in unserer Zeit
Reflexionen
EDITORIAL
Barbara Seiler Altern – damit greifen wir in dieser FAMA ein Thema auf, über das in unserer Gesellschaft niemand gerne spricht. Auch wir in der FAMA-Redaktion machen da keine Ausnahme. Und doch taucht das Thema in unseren Gesprächen am Rande der Redaktionssitzungen immer wieder auf, und zwar immer häufiger mit den Jahren, die wir in der Redaktion zusammenarbeiten. Es ist ein Allgemeinplatz: Auch wir werden älter. Altern – das ist eine Thema, über das niemand gerne spricht. Und doch ist es das, was uns im Leben am sichersten widerfährt. Deshalb haben wir uns entschlossen, dem Thema eine Nummer zu widmen. Wir haben bewusst den Titel «Altern» gesetzt und nicht zum Beispiel «Älter werden». Warum? Älter werden, davon reden auch die Jungen. Und so lange wir jung sind, meinen wir damit etwas Erstrebenswertes. Wer, wie ich, eine ältere Schwester hat, kennt ihn: den Neid auf sie, die mehr kann und mehr darf. Für junge Menschen bedeutet älter werden: grösser, stärker und hoffentlich auch klüger werden. Es bedeutet mehr dürfen, mehr Freiheit gewinnen und mehr und mehr sein Leben in die eigene Hand nehmen. Jungen Menschen kann es mit dem älter werden meistens kaum schnell genug gehen. Doch irgendwann kommt der Punkt, an dem wir nichts dagegen hätten, wenn es mit dem älter werden ein bisschen langsamer gehen würde. Was markiert diese Wende? Ist es das Altern des Körpers? Die ersten grauen Haare, die Linien, die das Leben in jedes Gesicht zeichnet? Oder ganz banal: der Tag, an dem ich junge Leute in Kleidern herumlaufen sehe, die in meiner «Jugend» Mode waren und die ich nie im Leben mehr tragen würde? Oder ernsthafter: Ist es der Moment, in dem ich mir eingestehen muss, dass ich gewisse Dinge in meinem Leben wohl nie mehr erreichen werde? Was auch immer diese Wende markiert, es ist der Punkt, an dem uns bewusst wird, dass älter werden nicht mehr nur Gewinn bedeutet, sondern in gewissen Hinsichten auch Verlust. Wir reden von altern, wenn wir an diese Schattenseite des Älterwerdens denken. Das Wort «altern», es geht uns weniger leicht über die Lippen und es beschönigt nichts. Zwar wurde den meisten von uns wohl noch die Achtung vor dem Alter gepredigt und in anderen Kulturen spielt diese Achtung tatsächlich noch, wie Heidi Rudolf aus ihrer Erfahrung in der interreligiösen Arbeit zu berichten weiss. In unserer Gesellschaft ist die Realität allerdings eine andere und sie straft diese Predigt Lügen. Was bei uns zählt, ist Jugendlichkeit und Leistungsvermögen. Und an diesen Werten werden auch die alten Menschen gemessen. Isabell Mahrer legt das in ihrem Beitrag dar. Frauen- und Altersdiskriminierung funktionieren für sie analog: An Frauen wie an alte Menschen wird ein Massstab angelegt, der ihnen nicht gerecht wird. Und sie plädiert für eine andere Sicht, die das Augenmerk auf die Stärken legt, die das Altern – neben den Einbussen, die sie nicht verneint – mit sich bringt. Andrea Blome geht der Frage nach, was es für die feministische Theologie heissen könnte, die Erfahrung von alten Frauen ernst zu nehmen und kommt zum Schluss, dass sich dadurch vor allem auch der Begriff der Erfahrung selbst erweitern müsste. Er müsste in der Lage sein, die Vielfalt gelebten Frauenlebens aufzunehmen und er dürfte nicht mehr nur situativ verstanden werden, sondern müsste den Lebensgeschichten Rechnung tragen: «Eine feministische Theologie, die das Altern ins Zentrum stellt, muss eine Theologie der Erinnerung und der Erzählung sein, eine lebensgeschichtliche Theologie und eine, die Zeit hat.» Zeit in diesem Sinn genommen haben sich Dorothee Dietrich und Monika Hungerbühler zusammen mit Helen Geiser. Die Basler Malerin kann mit ihren 80 Jahren auf den grösseren Teil unseres Jahrhunderts zurückblicken. Ihr ernüchterndes Fazit zur Entwicklung, die sie überschauen kann: «Technisch ist es irrsinnig! Menschlich gesehen ist es nicht so wild.» Ihr ist im Laufe ihres Lebens wichtig geworden, dass wir mit einer Schattenseite geboren sind: «Wir müssen sie kennen, dann können wir mit ihr umgehen, aber wir müssen nicht meinen, wir können sie überwinden, sonst verdrängen wir sie und dann gibt es ganz dummes Zeug.» Auch wenn Helen Geiser es nicht ausdrücklich sagt, zu diesen Schattenseiten gehört sicher auch, dass wir altern, dass wir endlich sind. Eine ganz eigene Geschichte erzählen für einmal wieder die Bilder in diesem Heft. Lisa Schäublin hat mit ihrer Kamera graue Pantherinnen in Basel und Boston begleitet und erzählt so aus dem Kampf und dem Leben dieser Frauen. Die Bilder zeigen eine sehr lebendige Art zu altern. Doch beim Betrachten dieser Fotografien ging mir ein anderer Gedanke von Helen Geiser nicht aus dem Kopf: Dass es einfacher ist, das alte Gesicht der anderen zu lieben als das eigene. Stoff zum Nachdenken.