vergriffen

Inhaltsübersicht

Marie-Louise Barben
Den «schielenden Blick» bewahren
Gleichstellungspolitik heute – eine Standortbestimmung

Ursula Hochuli Freund
Lebenskonzepte von jungen Frauen heute …

Cécile Speitel
Noch lange nicht am Ziel
Chancengleichheit an der Universität Basel

Silvia Strahm Bernet
Bin ich eine richtige Feministin?
Folge II

Margit Osterloh, Elena Folini
Verschwendetes Wissen
Der Ausschluss von Frauen aus der Wissensproduktion

Regina Wecker
Gleichheit und Differenz
Facetten einer Debatte

Elisabeth Joris
Vielfältiger und vernetzter denn je
Die Frauenbewegung heute


EDITORIAL

Es gibt eine Grundstimmung in Sachen Feminismus. Man könnte sie so umschreiben: Der Feminismus ist müde geworden, er hat an Kraft und Elan verloren; er macht nicht einmal mehr seine GegnerInnen wütend, die tun ihn mit einem müden Lächeln ab und unsere Töchter halten ihn mehrheitlich für überflüssig – er ist für viele von ihnen ein Relikt aus den 60er Jahren und wir leben bekanntlich in einem ganz neuen Jahrtausend. Man könnte zusammenfassend sagen: Es gibt ihn nicht mehr. Weil er seine Antriebskraft verloren hat, weil er nicht mehr kämpfen mag, und es gibt ihn nicht mehr, weil es ihn nicht mehr braucht. Das sind vielleicht nur scheinbar gegensätzliche Interpretationen. Dass er an Kraft verloren hat, öffentlich nur sehr punktuell und abgeschwächt präsent ist, ist klar. Wie frau es interpretiert, ist weniger klar. Er hat eine Niederlage erlitten, könnte man behaupten oder auch: Weil er erfolgreich war, gibt es ihn nicht mehr. Geht man vom Erfolg aus, hiesse das: Er hat seine Antriebskraft verloren, weil Frauen nicht mehr diskriminiert, unterdrückt oder benachteiligt werden. Im Klartext: Der Feminismus kann nicht mehr auf der Opferschiene fahren. Wenn Frauen jetzt nicht das erreichen, was sie wollen, sind sie selber schuld. Der Feminismus hat keine wirklichen Gegner mehr – sei es «die Gesellschaft», «die Männer», «das Patriarchat». Frauen scheitern, wenn überhaupt, an sich selbst: an fehlender Initiative, falschen Träumen, Naivität oder am Mangel an Ausdauer und Mut. Dem Feminismus sind die Gründe für seinen Kampf ausgegangen – er hat seine Ziele erreicht, seine Gegner bezwungen. Frauen leben jetzt nach der Devise der Firma Nike, deren Werbeslogan Naomi Wolf einst als Kurzformel des Feminismus definiert hat: Just do it! Mach’s einfach. Nicht lange jammern, klagen, verlangen: Mach’s einfach! Und Frauen machen es, vor allem die jungen. Sie sind die Schmiedinnen ihres eigenen Glückes geworden, und sie schmieden ihr Glück in etwa so wie die meisten Männer – entlang des modernen Credos: Selbstbestimmung und ökonomische Unabhängigkeit. Freiheit durch Geld! Man kann es auch netter formulieren: Selbstbestimmung, Lebenswahlfreiheit durch eigene Existenzsicherung. Dass Geld geprägte Freiheit ist, wie es Dostojewski formuliert hat, haben viele Frauen inzwischen verstanden. Und wenn gut ausgebildete Frauen heute vermehrt Karriere machen wollen und auf Kinder verzichten, so haben sie nicht nichts begriffen, sondern vielleicht gerade das Wesentliche für sich herausgegriffen. (Interessant ist, dass diesen Zusammenhang bereits die grosse alte Feminismus-Theoretikerin Simone de Beauvoir formulierte: Sie sah das Haupthindernis für die Emanzipation der Frauen in der Ehe und in der Hauptverantwortung für Kinder.) Wenn man es so betrachtet, ist der Feminismus nicht wirklich tot, ist nur sein Zerrbild vom Tisch, nämlich ein Feminismus verstanden als Kampf gegen Männer, als Puritanismus und als reine Opfertheorie. Vielleicht müsste man sogar sagen: Viele Frauen sind heute «anonyme Feministinnen», das heisst sie leben das, was die feministische Theorie formuliert hat und in die Tat umsetzen wollte. Sie leben es, auch wenn sie es nicht wissen. Und wenn sie sich gegen den Begriff Feminismus wehren, dann nicht gegen sein inhaltliches Programm, sondern gegen sein schlechtes Image. Man könnte es also nochmals etwas genauer sagen: Der Feminismus als Bewegung mit Welterlösungstheorien und umstürzlerischen Plänen ist mehr oder weniger vom öffentlichen Parkett verschwunden. Frau haut nicht mehr den Gockel vom Sockel, sondern ist längst selber unterwegs auf diesen Sockel. Der Aufstieg ist steil, aber die Frauen bemühen sich. Der Feminismus ist, so gesehen, höchst lebendig, auch wenn er sich nicht mehr so nennt: Er lebt in der täglichen Kleinarbeit in Betrieben, Familien, Schulen, Parlamenten, Universitäten etc. Er lebt in der alltäglichen Praxis und nach wie vor auf der Ebene der theoretischen Diskussion, aber er ist von den Strassen verschwunden. Soweit die sogenannte öffentliche Meinung. Das Problem ist nur: Feminismus hat sich nie in Gleichberechtigungsforderungen erschöpft. Er hat sozusagen immer hinter die Kulissen der Diskriminierung geschaut, hat immer gefragt: Was sind denn die Wurzeln, die zur Benachteiligung von mehr als der Hälfte der Weltbevölkerung führen, die diese reduzierten, unvollständigen Wesen – Mann, Frau – hervorrufen? Und er hat nie gemeint: Selbstbestimmung von Frauen heisst nichts weiter als: Ich kann Lastwagen fahren, in den Krieg ziehen, einen Grosskonzern leiten etc., wie alle andern Männer auch. Er hat das auch gemeint, aber er hat noch viel mehr gemeint. Und das ist wahrscheinlich eines der Hauptprobleme des Feminismus überhaupt. Selbstbestimmung sagen und nicht wissen, was das eigentlich heissen kann, was es heissen kann: als Frau ein eigenes Leben leben jenseits von Rollenvorgaben, Traditionen und beengenden Vorstellungen und Realitäten; ein eigenes Leben nach so vielen Jahrhunderten Fremddefinitionen, Fremdbestimmungen und Lebensbegrenzungen. Was wir erreicht haben, ist kurz gesagt: die Angleichung der Lebensmöglichkeiten der Frauen an jene des Mannes. Das ist immerhin etwas. Wir gewinnen dadurch Zugang zu vielem, das uns bisher verwehrt blieb. Es beinhaltet aber auch das Wegfallen von Rücksichtnahmen auf den noch immer anderen Lebenskontext, in dem Frauen sich bewegen – gerade wenn sie Kinder haben. Gleichberechtigung wird gerne als Vorwand benutzt, um sogenannte Privilegien abzubauen, ohne genau hinzuschauen, was sich in diesen Privilegien als Kompensation fehlenden Rechtes verbirgt, das haben wir in den letzten Jahren enttäuscht zur Kenntnis nehmen müssen. Das klingt etwas sehr negativ und es verkürzt natürlich auch die Mehrdeutigkeit dessen, was hier seinen Gang geht. Es ist eher ein Eindruck als eine fundierte Analyse. Um einen genaueren Einblick zu bekommen in die Vielschichtigkeit dessen, was Feminismus heute heisst, um vom Eindruck zur Erkenntnis zu gelangen, haben wir dieses Heft geplant. Vielleicht beantworten die folgenden Artikel nicht alle Fragen, die wir haben, aber wir sind sicher etwas klüger als zuvor.

Silvia Strahm Bernet

2001_3_Ganzes Heft als PDF