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Inhaltsübersicht

Monika Hungerbühler
Die Welt als Schrank
Ein Expo-Erlebnis eigener Art

Doris Strahm
Frauenwelten – Frauenräume

Regula Pöhl
Spiel – Raum

Susanne Schneeberger Geisler
Dialog bis zur Schmerzgrenze
Die Palästinenserin Sumaya Farhat-Naser und der Jude Peter Liatowitsch im Gespräch

Li Hangartner
Das Gelobte Land liegt in Kalifornien

Silvia Strahm Bernet
Schiff Ahoi
Oder die Wonnen der Verantwortungslosigkeit

Renate Metzger-Breitenfellner
«Neotopia zeigt die Welt von heute – aber anders»
Gespräch mit Manuela Pfrunder, Schöpferin einer gerechten Welt

Silvia Strahm Bernet
Virtuelle Welten

Martina Keller
Sperma vom Feinsten


EDITORIAL

Silvia Strahm Bernet

WeltenRäume – wieder eine dieser Sprachschöpfungen, die sich ins Ungefähre flüchtet, wo sie nicht zu präzisieren weiss? Wer solches vermutet, liegt nicht ganz falsch, aber so ganz richtig dennoch nicht. Nicht nur Gedanken belieben oft, die Gerade zu meiden und im Zickzack zu gehen, auch Hefttitel neigen dazu, sich unter der Hand in anderes zu verwandeln. Hiess der Titel in der Planungsphase «Globalisierung aus feministisch-theologischer Sicht», mutierte er im Verlaufe der Redaktionssitzung unter dem Eindruck des Buches «Neotopia» zu «Neue Welten – neue Räume» und verdichtete sich zuguterletzt im übermütigen «WeltenRäume». Nicht nur, weil er gut klingt, der Titel «WeltenRäume», weil man in Gedanken schon die Anker lichtet, ins Raumschiff steigt und alles weit hinter sich lässt – nur fort, weit fort, voller Neugier und Furcht, nein, nicht nur weil der Titel verheissungsvoll klingt, passt er, sondern gerade auch weil er einen Raum beschreibt, der in vielem diffus ist, sich ab und zu beängstigend neu strukturiert und doch in seiner unfertigen Gestalt in vielem der Phantasie die Führung überlässt. Und gerade diese Phantasie war es, die uns durch dieses Heft führte. Aber am Anfang, nicht der Welt, sondern unserer Sitzung, da stand die Müdigkeit. Müdigkeit ob des Immergleichen, das sich in der Welt realisiert und der Mehrheit der Menschen das Leben schwer macht, verunmöglicht, auslöscht. Es gibt Namen dafür – Neoliberalismus, Globalisierung, Turbokapitalismus, Götze Markt, aber auch ganz schlicht Zynismus, Gier, Machtversessenheit, Gleichgültigkeit und Tötungslust. Was gibt es dazu zu sagen, das nicht längst gesagt, geschrieben und geschrieen wurde. Nicht viel. Auch von unserer Seite nicht. Nur Beschwö-rungen sind möglich – aber wer glaubt schon an die Magie der guten Worte. Da kam uns das Buch «Neotopia» von Manuela Pfrunder gerade recht, das eine von uns mitgebracht hatte. Und plötzlich schien da eine Türe aufzugehen. Neo-Topia, die Welt als «Neuer Ort». Anders gedacht, quer, unrealistisch und doch als verrückter Blick auf das, was ist. Wieso nicht dem nachgehen, was an neuen Welten, was an Zukunft gedacht wird oder im Entstehen begriffen ist? Das klingt optimistisch, positiv, offen. Nach einem Versuch, nicht nur geschlossene Türen zu sehen und eine Welt, die jeden Tag enger wird und schliesslich in einer Sackgasse endet. Nur: Wir wären nicht die, die wir sind, wenn uns die Augen vor allem im Guten aufgegangen wären. Es ist kein Heft der Zukunftsgewinne geworden. Es ist bei einem skeptischen Blick geblieben, einem Heft mit Themen, die sich zwar mit neuen Räumen und anderen Welten beschäftigen, aber nicht allein mit ihren erfreulichen, sondern auch mit ihren beklemmenden Seiten. So ist Manuela Pfrunders «Neotopia» ein zwar origineller, spannender und wirklich neuer Zugang zu einem alten Thema, der Frage nach der Realisierbarkeit einer gerechten Welt, und doch ist ihre Neue Welt – eine Welt absoluter materieller Gerechtigkeit – eher eine traurig langweilige Welt, in der zu leben man sich nicht wirklich wünschen kann. Eine Gerechtigkeit der Zahl – alle besitzen von allem gleich viel – ist nicht das, was wir uns unter Verteilgerechtigkeit vorgestellt haben. Trotzdem ist die Rechnung faszinierend – die skandalös ungleiche Verteilung von Gütern und Ressourcen lässt sich nicht länger auslagern, sondern findet jetzt in jedem einzelnen Leben seinen Niederschlag. Das sieht beispielsweise so aus: «Alle 16 Jahre besitzen wir eine Kuh, einen Stier oder ein Rind mit einer Lebenserwartung von 5 Jahren, alle 20 Jahre ein Schaf oder eine Ziege, die sechs Jahre leben, alle 25 Jahre ein Schwein mit einer Lebenserwartung von 4 Jahren. – Alle 60 Tage trinken wir Kaffee…Pro Person stehen 8 Gramm Schweizer Emmentaler-Käse im Jahr zur Verfügung. Das reicht für eine Portion Käsekuchen alle zehn Jahre. – 60 Tage im Jahr leidet jeder Mensch an Hunger. – 154 Tage im Jahr haben wir keinen Zugang zu sanitären Einrichtungen. – 34 Wochen, 6 Tage und 13 Stunden im Jahr leben wir ohne fliessendes Wasser. 13 Wochen davon haben wir kein sauberes Trinkwasser. – 100 Tage im Jahr sind wir nicht fähig zu lesen und zu schreiben. Wir gelten als Analphabeten.» (Aus dem Interview «Neotopia zeigt die Welt von heute – aber anders», von Renate Metzger-Breitenfellner mit Manuela Pfrunder) Verrückt, nicht? Aber verrückter als «Leisure World», jene SeniorInnenresidenz in Kalifornien, in der man in seiner eigenen schönen neuen Welt lebt, so man sie denn bezahlen kann? In der alle alt werden wollen, aber niemand alt sein will? In der es sozusagen immer Tag ist, ohne das Dunkel, das der Mensch dem Menschen bereitet? («Das gelobte Land liegt in Kalifornien» von Li Hangartner). Wenn Neotopia die Realitäten verrückt, so kann Leisure World da problemlos mithalten. Auch die Idee einer modernen Arche Noah passt dazu, die die Reichen in einer Welt der Armut, Gewalt und Unsicherheit über Wasser hält («Schiff Ahoi» von Silvia Strahm Bernet). Nicht zu vergessen der Welt grösste Samenbank in L.A., die sich engagiert an der Bildung gesellschaftlicher Eliten beteiligt, denn «Qualität ist nie Zufall, sondern Ergebnis grosser Zielstrebigkeit, ehrlichen Bemühens, intelligenter Planung und gekonnter Ausführung» («Sperma vom Feinsten» von Martina Keller). Ja, würde sich intelligente Planung nicht allein auf die Auswahl qualitätssichernden Spermas beschränken, sondern, gepaart mit dem Verlangen nach Gerechtigkeit, sich der Realisierung neuer Welten annehmen, die Lebens-Raum für alle sein könnten… Aber Jammern hilft nicht, und ab und zu braucht es einfach mehr Phantasie, nicht, um die Welt zu retten, aber sich selbst – die eigene Kraft, Lebenslust, Neugier auf Zukunft. Und wenn sich daraus erneut auch ein Stück Zukunft für die Welt, in der wir leben, eröffnet, umso besser. Phantasie ist Lebens-Mittel. Sie eröffnet Spielräume («Spiel-Raum» von Regula Pöhl), erschafft tatsächlich neue Welten, wenn auch nur virtuell («Virtuelle Welten» von Silvia Strahm Bernet), entdeckt und schafft den Frauen neue Räume (Frauenwelten – Frauenräume von Doris Strahm) und durchkreuzt vielleicht die alten Welten mit ihren Grenzen, gezogen durch verübtes Unrecht, Schmerz, gewaltsamen Tod («Dialog bis zur Schmerzgrenze» von Susanne Schneeberger Geisler). WeltenRäume – ein grosses Wort für einen gewaltigen Raum an Möglichkeiten. Manchmal entdeckt man ihn auch in der Enge eines Schrankes, wie an der Expo 02, eines Schrankes, der Welten kreiert, in denen man das, was ist und einem nicht fremd. trotzdem neu erfährt («Die Welt als Schrank» von Monika Hungerbühler), eines Schrankes, in den man eintritt, um die Weite des Sternenhimmels zu sehen, in dem man die Sprossen einer Leiter erklimmt, um die verborgenen Schätze zu berühren, die unendlichen «Universen der Phantasie».

2003_1_Ganzes Heft als PDF