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Inhaltsübersicht

Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg, Klima-Krise… es gibt viele gute Gründe, sich Sorgen zu machen. Studien zeigen, dass die Schweizer Bevölkerung heute mit deutlich weniger Optimismus in die Zukunft blickt als noch vor einigen Jahren. Die FAMA nimmt diese Stimmungslage zum Anlass, um dem urtümlichen Bild der Welt als „Jammertal“ eine Nummer zu widmen und über das Jammern nachzudenken. Den eigenen Kummer zu äussern und mitzuteilen, kann die Seele befreien. Jammern kann aber zu einem Dauerzustand werden, der auf die Stimmung drückt, Mitmenschen belästigt und handelnde Verantwortung verhindert. Ausdrücke wie „Jammertanten“ und „Heulsusen“ deuten ausserdem darauf hin, dass Jammern gesellschaftlich den Frauen* zugeschrieben wird, was in der Medizin fatale Auswirkungen haben kann. Welch ein Jammer!

Geneva Moser
Mutmacherinnen
Gegen den Luxus der Hoffnungslosigkeit

RU Kollektiv
Totentanz
Die Kunst, Angst in Form zu verwandeln

Verena Mühlethaler
Unzumutbar
Vom Kampf gegen die Schweizer Ausschaffungspraxis
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Christine Stark
Und es jammerte sie
Gedanken zu einer biblischen Wendung

Karina Bischof
Schmerzen erzählen
Überlegungen im Licht der Gendermedizin

Christine Oefele
Vom Trost im Jammertal
Was ein Adventslied mit Hexenverfolgung zu tun hat

FAMA-Redaktion
Lernen statt jammern
Wie Fehler das Diversitätsbewusstsein fördern können


Editorial

Tania Oldenhage

Morgens im Altersheim frage ich eine Bewohnerin nach ihrem Befinden. «Wie geht es Ihnen», frage ich sie, doch ich weiss die Antwort schon. «Schlecht», sagt sie. Das sagt sie immer. «Schlecht.» «Was ist es denn», frage ich dann. «Schwindel», sagt sie manchmal, aber meistens sagt sie nur: «Ach, wissen Sie.» Nachmittags ist Deutschkurs. Drei Schweizerinnen und fünf Afghanen. Wir sitzen am Tisch und fragen uns gegenseitig: «Wie geht es Ihnen?» Die Antworten sind alle gleich: «Es geht mir gut.» «Es geht mir sehr gut.» «Gut geht es mir.» «Mir geht es immer gut», sagt einer der Schüler mit einem Augenzwinkern. Abends läuft mir ein Kollege über den Weg. Er sieht gehetzt aus. «Alles ok?», frage ich. «Alles super!», sagt er, und ich weiss nicht genau, ob das ironisch gemeint war, ob ich nachfragen soll.

Wann erlauben wir uns das Jammern? Wo und mit wem ist es uns möglich, vorbehaltlos rumzujammern über die vielen nervigen Kleinigkeiten, die unnötigen Ärgernisse, die Kümmernisse, die so banal sind, dass wir eigentlich kein Wort über sie verlieren wollen, die uns aber dennoch plagen, die kleinen Seitenhiebe und subtilen Bösartigkeiten, die Unverschämtheiten, die wir erleiden, die Unsäglichkeiten, die passiert sind, die grossen Skandale, unsere Wut und Empörung, unsere Verzweiflung, weil sich nichts geändert hat, weil sich nichts ändern wird, unsere Zukunftsangst. Was für ein Luxus wäre es, was für eine Wohltat, einzutauchen ins Jammertal und uns den Kummer von der Seele zu reden, ohne Zensur und ohne Angst, einen schlechten Eindruck zu machen.

In diesem Sinne hoffe ich, liebe Lesende, können Sie diese FAMA nehmen und uns verzeihen, wenn wir dem Jammern ausnahmsweise ein ganzes Heft widmen.

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