Inhaltsübersicht
Die Sklaverei wurde offiziell im 19. Jahrhundert abgeschafft. Doch das Phänomen der Ausbeutung existiert weiter. Sklaven und Sklavinnen gibt es immer noch, sei dies im Sudan, oder in Brasilien. Doch auch bei uns in Europa und in der Schweiz gibt es verschiedenste Formen von Ausbeutung von Menschen durch andre. Die Betroffenen fühlen sich oft genauso versklavt, wie die Sklaven zur Zeit des Kolonialismus. Die FAMA legt den Schwerpunkt ihrer Beiträge auf die gegenwärtige Situation von versklavten Menschen und dabei insbesondere von Frauen in der Schweiz.
Sabine Bieberstein
Gewalt, Überleben und Befreiung
Die Bibel und die Sklaverei
Eva-Sibylle Vogel-Mfato
Ein (un)gehörter Schrei
Frauenhandel und kirchliches Engagement
Ruth-Gaby Vermot-Mangold
Frauenhandel – politisches Handeln
Aufgezeichnet von Monika Hungerbühler
«Ich hatte keinen Namen»
Geschichte einer «versklavten» Kindheit
Sandra Blessin
Bittere Erdbeeren
Arbeitsmigration in Südspanien
Silvia Strahm Bernet
Schweizer SklavInnen?
Die Beteiligung der Schweiz am transatlantischen Sklavenhandel
Katja Schurter
Begehrte Dienste – gering geschätzte Arbeiterinnen
Editorial
Susanne Schneeberger Geisler
Der Sklavenhandel entwickelte sich parallel zur Kolonialisierung der «neuen Welt» im 15. Jahrhundert. Das Geschäft mit der Ware «Arbeitskraft» war einträglich. Es brachte den Händlern dicke Gewinn und verhalf Plantagen-, Minen- und Grossgrundbesitzern in der neuen Welt ebenfalls zu Reichtum. Die Ausbeutung der Menschen lohnte sich ökonomisch auch für die Kolonialstaaten im Norden. Sie wurden reich durch importierte Produkte aus dem Süden (zum Beispiel Edelmetalle, Kakao, Baumwolle) und durch eigene Exporte in die Sklavenländer (zum Beispiel Waffen). Der Sklavenhandel war eine erste Form von globaler Zirkulation von Waren und Menschen unter dem Aspekt des Nutzens für die Herrschenden und für das Kapital: der Beginn der ökonomischen Globalisierung. Er forderte ungeheuerlich grosse Opfer innerhalb Afrikas. Auch die Kirche hat dabei eine unrühmliche Rolle gespielt. Die Sklaverei wurde offiziell im 19. Jahrhundert abgeschafft. Doch das Phänomen der Ausbeutung existiert weiter. Sklaven und Sklavinnen gibt es immer noch, sei dies in Afrika, zum Beispiel im Sudan, wo Menschen als Leibeigene im Besitz eines Herren stehen, aber auch in Brasilien. Kritische kirchliche Kreise schätzen in Brasilien die Zahl der Betroffenen auf etwa 20-40’000 Menschen jährlich. Oft sind es landlose BäuerInnen, die auf der Suche nach Arbeit in grosse Städte migrieren. Dort werden sie angeworben, um als LandarbeiterInnen auf grossen Gütern in der Viehzucht, im Schneiden von Zuckerrohr oder auf Plantagen zu schuften. Sie erhalten keinen richtigen Lohn, manchmal nur minimale Abgeltung mit Naturalien, oftmals müssen sie notwendige Waren in betriebseigeneu Läden zu überzahlten Preisen kaufen. Dadurch geraten- sie in die Verschuldungsfalle und bleiben in einem Abhängigkeitsverhältnis stecken. Weil diese Menschen ihre Rechte nicht kennen, können sie sich auch nicht wehren, und der Gutsbesitzer verfügt über billigste Arbeitskräfte, die irgendwo im Busch versteckt werden, weit weg von jeglicher staatlicher Kontrolle. Doch auch bei uns in Europa und in der Schweiz gibt es verschiedenste Formen der Ausbeutung von Menschen durch andere. Die Betroffenen fühlen sich oft genauso versklavt wie die Sklaven zur Zeit des Kolonialismus. Dennoch darf der Begriff nicht leichtfertig von einem Kontext auf den anderen übertragen werden, gerade wenn wir uns der Anzahl der Opfer des Sklavenhandels von ca. 60 Millionen Menschen erinnern. Weil Ausbeutung und Versklavung auch heute noch passieren setzt die FAMA den Akzent in diesem Heft auf die Schweiz und die vielfältigen Vernetzungen, die ausbeuterische Strukturen aufrecht erhalten. Dabei darf der Blick auf unsere eigenen Verstrickungen nicht fehlen. Doch betrachten wir zuerst die Ursachen: Der ökonomische Druck auf viele Menschen hat zugenommen. Armut und Arbeitslosigkeit, existentielle Not und der Wunsch nach einem besseren Leben sind nicht nur im Süden ein Thema, sondern auch in Europa. Die Arbeitsverteilung in modernen Gesellschaften wird nicht zwischen den Geschlechtern neu geregelt, sondern weiblich definierte Betreuungs- und Pflegearbeit im Haushalt wird Migrantinnen übertragen, oftmals unter unmenschlichen Bedingungen. Die Arbeitsmöglichkeiten sind gering die Konkurrenz ist gross, was dazu beiträgt, dass vermehrt Zeit-, Leiharbeit und Billigjobs entstehen. Dabei verdingen sich Menschen unterhalb ausgemachter Mindestlöhne, ohne Krankheitsregelungen oder andere sozialen Absicherungen, oder versuchen durch Schwarzarbeit ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Stark davon betroffen sind arbeitsintensive Sektoren wie die Landwirtschaft, das Bau- und Gastgewerbe. Für Frauen sind neben dem Gastgewerbe die Arbeit als Tänzerinnen und Haushaltsangestellte und der Heiratsmarkt Orte, wo Abhängigkeiten geschaffen und wo sie ausgebeutet werden, Frauen werden mit falschen Versprechungen nach Europa gelockt. Sie werden als Hotelangestellte und Tänzerinnen angestellt, dann aber häufig zur Prostitution gezwungen. Dies ist möglich, weil diese Frauen vielfach in einem illegalen Status in der Schweiz leben, sich deshalb keine rechtliche Unterstützung durch staatliche Stellen holen können oder ihre Rechte nicht kennen und weil sie finanziell von ihren «Arbeitgebern» abhängig sind (Abbezahlung von «Vermittlungsgebühren», Reisekosten, Miete). Die Frauen haben zuhause sehr oft eine Familie zurückgelassen, die sie ernähren müssen, was sie zusätzlich verletzlich macht. Die Vielschichtigkeit und Vielgestaltigkeit heutiger Ausbeutungsformen wird in den Texten von Sandra Blessin und Katja Schurter deutlich. Ruth-Gaby Vermot leuchtet die Situation von Menschenhandel und die politischen Schritte, die dagegen unternommen werden, aus. Silvia Strahm Bernet erinnert an die Rolle von Schweizer Geschäftsmännern im weltweiten Sklavenhandel. Sabine Bieberstein untersucht die Bibel zum Thema Sklaverei und Eva-Sibylle Vogel-Mfato zeigt auf wo die Kirche in der Diskussion steht. Monika Hungerbühler gibt Einblick in eine persönliche Lebensgeschichte, die uns bewusst macht, dass Versklavung im Binnenraum Familie geschah. Das Forum hat in dieser Ausgabe eine besondere Form: Anni Lanz gibt einen Überblick über die aktuelle Diskussion zum Thema. Sklaverei, Menschenhandel, Leiharbeit sind Formen von Ausbeutung. Es gibt sie, weil weltweit ein Bedürfnis nach billigen Arbeitskräften besteht, damit die Produktivität wächst, der Motor der ökonomischen Globalisierung in Gang gehalten werden kann und weil dadurch Gewisse noch reicher werden. Auch das Bedürfnis nach Konsum, nach billigen Dienstleistungen, von denen wir alle in irgendeiner Form profitieren, helfen mit, die fatale ökonomische Situation zu stabilisieren. Rechtliche Probleme, die nicht wahrgenommen werden, Sexismus, Rassismus und Gleichgültigkeit verzögern politisch notwendige Schritte der Veränderung. Armut und ökonomischer Druck zwingen Menschen zu migrieren oder Arbeit anzunehmen, die ausbeuterisch ist. Damit wird unsere Dienstleistungsgesellschaft zum möglichen Ort der Ausbeutung, wo die Nachfrage das Angebot fast nach Belieben definiert, jenseits von Menschenrechten und Würde, Hauptsache die Kasse stimmt.